ANna Tautfest

Die Jalousie, 2020

Der Text ist inspiriert durch die Collagen-Serie JALOUSIE von Stefan Mildenberger und
erschienen in Kooperation mit dem Kunstverein Jesteburg.

 

Die Jalousie.
Ein einfaches konstruktives Gebilde. Sie ist ein Bauteil, Teil der Fassade. Der inneren, wie der
äußeren. Was für eine doppelte Funktion!
Sie trennt uns von draußen, sie verbarrikadiert den Blick. Nach innen und nach außen. Halbgeöffnet
gibt sie aber einen Blick frei, einen versteckten. Einen gestreiften. Sehen ohne gesehen zu werden.
Im Verbergen liegt das Aufdecken nicht weit. Der Blick kann eröffnet, der Einblick gegeben
werden. Manchmal zeigt uns die Verdeckung mehr von dem Verdeckten, als wir sähen, sähen wir
alles klar und deutlich vor uns liegen. Die Bedeckung, das Erahnen, geheimnisvoll. Die Zeichen,
die wir täglich nutzen, die Maskeraden und Verkleidungen, die wir tragen, sie zu entschlüsseln,
ihnen dahinter zu kommen, was sie verbergen, sie anzuzweifeln – Kann die Bedeckung da helfen?
Welche Codes nehmen wir? Was greifen wir uns heraus – in der Gender-Bibliothek angeeignet und
direkt mal angetan. Lieber ein „Cross“ zur „Norm“ oder doch ein „fit in“ ins Ganze? Welche
Kodierung wir wählen, macht uns lesbar, entzifferbar. Die Einordnung meidend, gleichzeitig ein
Aus-Ordnen aus dem Ganzen suchend, zeigt sich die gewählte Maske in vollem Sonnenlicht, ohne
Verschattung und Blick-Abblocker. Wie anders scheint da doch ein Ineinander zu wirken. Plötzlich
gibt es keine Deutlichkeit mehr. Die Jalousie, sie bedeckt und verdeckt doch nicht. Die Bildebene
wird zerteilt, zerschnitten in viele Einblicke, in ein Gitter an Durchschaubarkeit. Und bleibt ein
Ganzes, ein vollständig gesetztes Bild. Der Blick zerfällt in ein vorne und ein hinten, die Streifen
verschwimmen in eins, um sich schnell wieder als Einzelteile aufzudröseln. Die verdeckte Seite, das
nicht Gesehene kommt in der Ergänzung eines völlig neuen Bildes zum Vorschein. Ein Blick ins
Dahinter scheint sich aufzutun. Hier ereignet sich in der Reduzierung des Zugangs, im Verschatten
der Images eine Erhellung, eine Eröffnung zu etwas Neuem. Die mediale Selbstinszenierung
verschiedener Internet-Persona fließen ineinander und gehen ineinander auf. Die Versuche, sich
einer Eindeutigkeit zu entziehen – sei es bei einem Künstler wie Andy Kassierer, der sich in der
zigfachen Inszenierung seiner Kunstperson immer wieder neu herstellt und immer wieder anders,
aber dennoch in einer Gleichheit verharrt, der er mit seinem Körper scheinbar nicht entkommen
kann – dem es hier in der Vereinigung mit Leah Schrager endlich gelingen mag, gänzlich neu in
Erscheinung zu treten. Auch für sie – die im Switchen von Kunst zu Porn ihre Auftritte in einem
Dazwischen ansiedelt – vollzieht sich hier ein Akt, der ihre Welten vielleicht so nah
zusammenbringt, wie es eben geht. Sie taucht als Kunstwerk, in den Jalousieritzen eines anderen
Künstlers, in einer Ausstellung auf, die sich um Internetkunst dreht. Sie wird ergänzt, im Schatten
ihrer Nicht-Präsenz wird ein anderer eingefügt. So bleibt die Lücke offen, ein Schwebezustand für
immer gewährleistet. – Was mehr lässt sich wünschen im Zeitalter der fluiden Persönlichkeiten? Wo
User mit User_in mit Userin verschwimmt und im nächsten Augenblick als Geist in den
Netzwerken entschwunden sein wird?

 

 

“ ANna Tautfest studierte Architektur und Bildende Kunst an der Universität der Künste in Berlin, der Escola Tècnica Superior d’Arquitectura del Vallès in Barcelona, ​​der Art Students League in New York und der Hochschule für bildende Künste (HFBK) Hamburg. 2014 schloss sie an der HFBK einen Master in Kunst und Theorie zum Thema Mimikry in feministischer und postkolonialer Theorie ab. Seit 2015 ist sie Promovendin und Lehrbeauftragte der HFBK.
In Berlin gründete sie den Projektraum Bau Kein Scheiss, in dem zahlreiche Ausstellungen und Vorträge von Künstlern stattfanden und in dem sich die Workers Punk Art School befand. Zu ihren weiteren Kooperationspartnern gehörten Transitlounge, Kino24 und MaterialMafia. Weitere Ausstellungen, an denen sie teilgenommen hat sind die transmediale im Haus der Kulturen der Welt Berlin (2009), Programmgalerie, Berlin (2009), Schuckert Höfe, Berlin (2010), BKS, Berlin (2010), ASA Studios, Hamburg (2012) , P / ART, Kunstfrühling Bremen (2014). Im Jahr 2018 veröffentlichte sie ihr Buch Genderperformances. Mimikry im Feministischen und Post-Kolonialen Kontext „